Kunst und Kulturelles

Die Dame in Weiß

Kunst und Kulturelles am Pflegebett

Welche Geduld, welche Zärtlichkeit verlangt die Kunst! Nichts ohne Arbeit

Mit „Der Dame in Weiß“ stelle ich Ihnen im Rahmen einer Einzelbetreuung ein Kunstgespräch am Pflegebett vor.

Die Seniorin lebt seit über 15 Jahren in einem Altenzentrum. Sie ist seit 5 Jahren bettlägerig und demenziell erkrankt. Seit ihrem Aufenthalt im Hause ist mir die Dame bekannt. Die Einzelbetreuung findet seit 2 Jahren einmal wöchentlich im Appartement der Bewohnerin am Pflegebett statt.

Zur Biografie der Seniorin ist in diesem Kontext erwähnenswert. Die Bewohnerin lebt seit Geburt im gleichen Ort und spricht den heimischen Dialekt. Sie hat seit ihrem 14. Lebensjahr als Arbeiterin in einer Fabrik gearbeitet. Ihr äußeres Erscheinungsbild war ihr stets wichtig. Sie besucht, wenn es ihre Krankheit zu lässt noch ca. alle 6 Wochen den hausinternen Friseursalon. Das Augenlicht der Seniorin ist intakt.

Es versteht sich von selbst, dass dieses Kunstgespräch „nur“ schriftlich dokumentiert wird. In der Einzelbetreuung wird von meiner Person, aus Gründen der Privatsphäre kein Bildmaterial erstellt. Ich kann Ihnen nur von den leuchtenden Augen der Seniorin während der Bildbetrachtung und des Kunstgespräches berichten.

Das Gemälde „Die Dame in Weiß“ von Tizian entdeckte ich während einer Städtereise in der staatlichen Kunstsammlung Dresden. Das Bild zog mich augenblicklich in seinem Bann, mit Informationen und Flyern ausgestattet begann die Heimreise.

Ein Kunstgespräch in einer Seniorengruppe verlief positiv, sodass ich ein Kunstgespräch am Pflegebett in Erwägung zog.

Ich benötigte allerdings ein größeres Bild. Eine Anfrage bei der staatlichen Kunstsammlung Dresden verlief sehr erfreulich. Das Gemälde kam per Mail mit der Erlaubnis es für meine Seniorenarbeit zu nutzen und auf meiner Homepage zu veröffentlichen.

Mit einem Laptop und „der Dame in Weiß“ ausgestattet besuchte ich die Bewohnerin in ihrem Zimmer. Das Kunstgespräch war ein großer Erfolg. Der Zeitraum dieser Einzelbetreuung ging über den üblichen Zeitrahmen hinaus. Das Gespräch verlief fließend. Die Bewohnerin betrachtete das Bild äußerte ihre Eindrücke und wünschte Informationen über das Bild und den Maler.

Wichtig war auch die Identifizierung der Dame. War es Tizians Tochter Lavinia ode ein uneheliches Kind? Ist Tizians Geliebte dargestellt oder ein Ideal weiblicher Schönheit?

Die Farbe Weiß ließ viele Interpretationen zu. Der Bezug zur eigenen Person war gegeben und weckte die Ressourcen der Bewohnerin.

Es wurden Erinnerungen ausgetauscht und immer wieder mit dem Gemälde verglichen. Das weiße Kleid, der Schmuck, die Sprache der Farben, wer, wann und wo kleidet man (Frau) sich weiß, Stoffqualität, die Kleiderlänge, der Fächer, die Frisur etc.
Besondere Aufmerksamkeit fand das Korsett. Das Geschnürte, die Enge war nicht erwünscht, in diesem Punkt wurde die feine Dame nicht beneidet.

Unser Fazit: Jede Frau ist einmal eine „Dame in Weiß“, bei der Hochzeit oder einfach bei einem Fest oder am Wochenende. Ein neue Frisur, eine weiße Kette und Bluse zaubert eine moderne Dame in Weiß. Die Gewissheit eine weiße Bluse und eine weiße Perlenkette sein Eigentum zu nennen, wie auf diesem Kunstwerk war in diesem Augenblick die größte Wertschätzung.

Geduld und Zeit für ein Gespräch, individuelle Aufmerksamkeit und besonders unsere gemeinsame Sprache der heimische Dialekt verbreitete ein Hauch von Zärtlichkeit. Diesen Genuss schenkte uns ein Kunstgemälde.

Nichts ohne Arbeit, aber mit Freude an der Arbeit.

„Die Dame in Weiß“ ermutigte mich zu weiteren Bildbetrachtungen am Pflegebett. Für diese Bildbetrachtung wählte ich ein Kunstwebbild einer ortsansässigen Webbildkünstlerin. Dieses Bild entsprach meinem Anspruch „Barrierefrei für alle bzw. mehrere Sinne“. Die Betrachterin brauchte nicht „eingeladen“ zu werden, dieses Bild zu berühren. Der Wunsch, das Bild anzufassen, entstand von selbst. Dies ist in diesem Falle besonders erwähnenswert, da diese Bewohnerin auf Grund ihrer Erkrankung Körperkontakt selten zulässt. Das Kunstwebbild schenkte uns weiterhin eine imaginäre Reise ans Meer. Für Menschen mit einer Sehbehinderung ist ein Webkunstbild besonders gut geeignet.

Damit "die Dame in Weiß" zukünftig auch "barrierefrei für alle Sinne" betrachtet werden kann, wurde von einer Patchworkerin ein Duplikat des Fähnchenfächer erstellt. Beim Kunstgespräch kann auf Wunsch der Fähnchenfächer ausprobiert, eine weiße Perlenkette getragen und verschiedene weiße Stoffe betrachtet und berührt werden.Eine weiße Bluse ist meistens im Besitz der Kunstgesprächpartnerin.